Die Wütende Neisse

Rohnstock und seine Neisse
von Richard Krause

Die Wütende Neisse entspringt beim Forsthaus Einsiedel und fließt fast durch das ganze Kreisgebiet, nimmt in ihrem Lauf viele kleinere und größere Bachläufe auf, ehe sie sich bei Dohnau, Kr. Liegnitz, mit der Katzbach vereinigt. Wütende Neisse! Zur Sommerzeit klingt dieser Name beinahe grotesk, denn jetzt ist nur ein kleines, harmloses Rinnsal zu sehen. Aber nach einem Gewitter- und starkem Platzregen wird sie ihrem Namen durchaus gerecht.

Dabei muß ich an einen schönen Frühsommertag vor dem 2. Weltkrieg denken. Meine Frau war mit unsern Leuten nach Bolkenhain zu den Burgenspielen auf der Bolkoburg gefahren. Am Nachmittag zogen dunkle Wolken auf. Bald grollte der Donner, die ersten Blitze zuckten, es begann heftig zu regnen, ein Wolkenbruch stürzte hernieder. Ehe man sich's versah, schwamm der Hofraum voller Wasser. Ich hatte Mühe, die verstopften Gullys freizumachen. Da rief meine Mutter von der Haustür aus: "Richard, komm schnell, im Keller schwimmen die Rahmtöpfe und die Gläser mit dem Eingeweckten!" Ich stand bis zu den Knien im Wasser und fischte, was ich an Brauchbarem gerade erwischen konnte, heraus. Plötzlich gab es einen mächtigen Blitz- und Donnerschlag, der mich fast zu Boden riß. Das Licht ging aus, aber ich fand die Tür und konnte mich noch nach oben retten. Der Schreck saß mir noch in allen Gliedern, aber ich war froh, noch heil geblieben zu sein. Als abends unsere Ausflügler heimkamen, waren sie ganz verwundert, denn in Bolkenhain hatte es gar nicht geregnet. Erst am anderen Tage hörten wir, daß in Baumgarten ein Wolkenbruch herniedergegangen sei, der uns in Rohnstock bald "versaufen" ließ.

Im Winter war der Fluß bei starkem Frost zugefroren, der Wasserstand lag durch die herbstlichen Regenfälle dann erheblich höher als im Sommer. Auf dem Eis vergnügten sich alt und jung auf ihren Schlittschuhen, bis starke Schneefälle alles zudeckte. Kam im Frühjahr dann die Schneeschmelze, lief das Wasser zunächst über das Eis, und es dauerte nicht lange, da brach es, und das Unheil nahm seinen Lauf. Während das Hochwasser stündlich stieg, setzte der Eisgang ein. Am Wehr stauten sich die Eisblöcke mitunter übereinander, obwohl die Schleusen rechtzeitig hochgezogen worden waren. Das Wasser staute sich zurück bis hinter die Straßenbrücke, trat über das flache Ufer der rechten Seite und überschwemmte Wege, Gärten und Gehöfte, Keller füllten sich mit Wasser, und die Feuerwehr war Tag und Nacht im Einsatz. Auf unserer Seite kam das Hochwasser von der Feldseite ins Gehöft, denn bei der Schmiede lief es hindurch. Die Wassermassen konnten nur zögernd ablaufen, denn am Wehr hatte sich ein Eisberg gebildet so hoch wie die Schleusenmauern. Allmählich wurde es Nacht. Man konnte nur noch hoffen, daß viel Wasser abfloß und bis zum anderen Tage nicht noch stieg. Gottlob bestätigte sich diese Hoffnung.

Als es Tag wurde, waren starke Männer und die Feuerwehr bemüht, vom Ufer aus immer mehr Eisschollen zu lockern, damit der Ablauf breiter wurde. Das war eine harte und gefährliche Arbeit! Es wurde wieder kälter, das Wasser gefror. Noch war die Gefahr nicht gebannt. Darum beschlossen der Gemeinderat und die Feuerwehr, den Eisberg zu sprengen. Unser Hof lag direkt am Wehr. Alle Fenster zur Flußseite wurden geöffnet. Trotzdem aber gingen unzählige Scheiben zu Bruch. Die Sprengung hatte zwar einige Löcher in den Eisberg gerissen, aber bald waren die Schollen wieder zusammengefroren. Nun blieb nichts anderes übrig, als mit Spitzhacken und Äxten die Schollen voneinander zu trennen, dabei mußten sich die Feuerwehrleute bei ihrer mühsamen Arbeit anseilen. Trotzdem fielen immer wieder einige ins eisige Wasser. In unserer Wohnstube war ständig ein Samariterdienst eingerichtet, um die Leute wieder in trockene, warme Sachen zu stecken und zu versorgen. So vergingen der zweite Tag und die andere Nacht, und am nächsten Tag gab es noch genug zu tun, um das ganze Wehr wieder freizumachen.

So ist es von Jahr zu Jahr immer wieder einmal zu solchen kleineren und größeren Überschwemmungen der Wütenden Neisse gekommen. Die größte Katastrophe hatte es im Jahre 1898 gegeben. Damals hatte das Hochwasser das Wehr völlig weggerissen. Fünf Jahre später wiederholte sich das Unheil, und es entstanden überall große Schäden. Erst als bei Wiesau ein Stauwehr gebaut wurde, konnte die Hochwassergefahr gebannt und Schäden vermieden werden. Was sich aber früher daheim an unserer Neisse einmal abspielte, wird allen Rohnstockern unvergessen bleiben.

Nachtrag: Das letzte große Hochwasser war im Jahre 1997. Davon gibt es einen Videofilm, von dem ich einen kleinen Ausschnitt hier wiedergeben darf. Mit freundlicher Genehmigung von Kazimierz Kudla, Roztoka (Rohnstock).

Die Wütende Neisse war wieder mal sehr wütend!

Hochwasser in Rohnstock im Juli 1997

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Stand: 4.4.2011